Montag, 20. November 2006
sprache im wandel
die kinder waren mal wieder hier. interessant, interessant. vor allem die werkzeuge der kommunikation. mit hf (have fun) fängts harmlos an. aber dann: wo man früher einfach deftig "scheiße" hörte, wird nun wtf (gesprochen we te eff, bedeuted: what the fuck) lautstark intoniert. was vor kurzem noch "nap" (not a professional) war, ist nun "lowskilled" oder besser noch "ungehirnt". es ist unglaublich welche linguistische vielfalt die heranwachsenden entwickeln. und manchmal muß man nachfragen :-)
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gruppenbild mit schlange
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voll porno
Voll psycho
Harald Martenstein spricht mit seinem Sohn

Mein Sohn ist 14 Jahre alt. Wenn er etwas großartig fand, sagte er bis vor kurzem: „Das ist geil.“ Das Wort geil bedeutete im Mittelalter gut. Später bedeutete es lüstern. Jetzt heißt geil wieder gut. Ich habe meinen Sohn gefragt: „Was ist das Gegenteil von geil?“ [...] Mein Sohn sagte: „Das Gegenteil von geil heißt schwul. Ein schwuler Film ist ein Film, der nicht geil war [...].“ In meiner Jugend ist schwul ein Schimpfwort gewesen. In meinen Mannesjahren wechselte schwul die Bedeutung. Schwule Regierungschefs priesen [...] das Schwulsein. In der neuerlichen Umprägung des Wortes kommt meiner Ansicht nach nicht ein Wiederaufleben des Ressentiments gegen Homosexuelle zum Ausdruck, sondern die ewige Lust der Jugend an der Provokation. [...]
Kürzlich kehrte mein Sohn aus der Schule zurück und teilte mir mit, weitere Umwertungen hätten stattgefunden. „Man sagt nicht mehr geil. Nur Dreißigjährige sagen geil. Jetzt sagt man zu etwas Gutem meistens porno.“ Das Schulfest war voll porno. Der Pfarrer im Jugendgottesdienst hat porno gepredigt. Mein Sohn sagt, das Gegenteil von porno bezeichne die Jugend neuerdings als psycho. Ein Mädchen, das gestern noch schwul war, ist heute schon psycho. In der Kombination dieser beiden Begriffe ergeben sich reizende sprachliche Effekte, z. B.: „Psycho“ von Hitchcock ist ein porno Film. X ist ein porno Typ, aber er muss jede Woche zu einem Psychotherapeuten.
Nach einigem Nachdenken wurde mir klar, dass die Gut- und Schlechtwörter der Jugend meist dem sexuellen Bereich entnommen werden. Dabei wird stets das gesellschaftlich Goutierte negativ besetzt, das gesellschaftlich Verpönte aber ins Positive gewendet. [...] In zehn Jahren werden die 14-Jährigen sagen: Die Klassenfahrt nach Y war sensibel und nachhaltig. Die Klassenfahrt nach Beverly Hills aber war pädophil. Dann aber dachte ich an das große Wort Sigmund Freuds: „Derjenige, der zum ersten Mal an Stelle eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation.“

Aus: „Die Zeit“ vom 09.03.2006

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